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Gaṅgā fuhr fort: „O Gajendra, höre nun von mir warum Devavrata die himmlischen Welten verlassen musste. Höre von mir die Geschichte der acht Vasus, die einst in ausgelassener Stimmung mit ihren Frauen über die Erde lustwandelten. Wie du weißt, kommen selbst die Bewohner der höheren Welten manchmal auf die mittleren Planeten, die als Mṛtyu-loka, als Orte des Todes, bekannt sind. 
Obwohl wir mit unseren feineren Körpern manche Höhen des Genusses erfahren können, die euch Erdlingen nicht zugänglich sind, ist diese Erde doch trotzdem ein von uns gern besuchter Ort. Insbesondere in den nächsten Jahrzehnten, da dann nicht nur der höchste Herr persönlich Mutter Bhūmi mit seiner Anwesenheit segnen wird, sondern dies auch noch in seiner ursprünglichen, zweiarmigen Form als Govinda.“
 
Devavrata, der immer noch zu Boden geschaut und inzwischen mit seinem rechten Fuß Halbkreise in den staubigen Boden gemalt hatte, hob ruckartig den Kopf. Was für eine Neuigkeit! Das hatte er bisher noch nirgends gehört, nicht einmal von Indra, Agni oder Yamarāja, selbst von Bṛhaspati nicht, obwohl der Guru der Himmelsgötter so ziemlich über alles im Universum Bescheid wusste. (Zumindest pflegte er dies öfters zu betonen.) Viṣṇu würde also bald die Erde besuchen! Aber wieso mit zwei Armen? Devavrata hatte bisher immer nur von vierarmigen Viṣṇuformen gehört. Und wer war dieser Govinda?
 
„Nur wenige sind so sehr vom Glück begünstigt, über Nārāyaṇa, die Zuflucht aller Lebewesen, in seiner zweiarmigen Form zu hören, geschweige denn ihn zu sehen und zu verstehen“, tröstete Gaṅgā die beiden Krieger, die beide gleichermaßen erstaunt wie auch begeistert über das Gehörte waren. „Mahārāja Śantanu“, wandte sich Gaṅgā an den König, obwohl sie ihren Blick direkt auf Devavrata richtete, „dein Sohn wird die höchste Person, Puruṣottama, jedoch nicht nur von Angesicht zu Angesicht sehen, sondern er wird sogar mit dem Gemahl der Glücksgöttin in einer gewaltigen Schlacht persönlich kämpfen!
 
Wahrlich, dein Sohn ist von den Göttern gesegnet. Die größten aller Könige werden von ihm Unterweisungen erbetteln und sein Ruhm wird in allen drei Welten widerhallen. Sein Verständnis des Dharmas ist so umfassend, dass er als mahājana bekannt sein wird und auf einer Stufe mit Śiva, Brahmā, Manu, Prahlāda, Janaka und Yamarāja steht. Selbst Kapiladeva, die Vier Kumāras und Nārada Muni werden seine Worte ehren.“
 
Gaṅgā lächelte noch eine Spur milder und Devavrata errötete. Es mangelte ihm zwar nicht an Selbstbewusstsein, aber so viele verheißungsvolle Neuigkeiten trieben selbst ihm das Blut in die Schläfen. Śantanu dagegen war personifizierter Vaterstolz. Gierig trank er jedes einzelne Wort der göttlichen Gaṅgā, unwillig, jemals auch nur eines davon wieder aus seinem Bewusstsein zu entlassen. Am liebsten wäre er wild gestikulierend wie ein übermütiger Affe durch die Gegend gehüpft, wäre wie eine flüchtende Gazelle in die Höhe gesprungen und hätte wie ein angriffslustiger Tiger gebrüllt. Er fühlte sich wie ein fünf Tage altes Kalb, dass nach einem langen Tag der Trennung endlich wieder seine Mutter von der Weide zurückkehren sieht. 
 
„Dieser treffliche Bogenschütze“, fuhr Gaṅgā fort, „dessen Können du mit eigenen Augen bereits bewundern konntest, war in seinem letzten Leben der Anführer der Acht Vasus und hörte auf den Namen Dyau. An einem Tag, als diese acht Götter und ihre Frauen Müßiggang als ihr einziges Tagwerk betrachteten und einen Ausflug auf die Erde unternahmen, stießen sie auf den Āśrama des großen ṛṣis Vasiṣṭha. Dessen berühmte Kuh Nandinī ist eine kāmadhenu, eine heilige Persönlichkeit, die in der Lage ist, die Wünsche eines jeden zu erfüllen. Aufgrund ihrer Schönheit und ihrer Einzigartigkeit wurde sie das Objekt der Begierde für die acht Pärchen. 
 
Die angemessene Zurückhaltung dem Eigentum eines anderen gegenüber war schnell vom Feuer der Gier verzehrt. Von den Gefühlen erwachender Lust getrieben, zerrann die Gegenwehr der Vasus wie Wachs in einem Schmelztiegel und sie schenkten ihrer Intelligenz keine Beachtung mehr. Diese Kuh verhieß den Verliebten, dass sie schon bald Genuss auf bisher ungekannten Ebenen kosten könnten. Und so beschlossen diese törichten Geschöpfe, die arme Kuh zu stehlen. Es war Dyau, der, bezaubert von den flehentlichen Bitten seiner Frau, selbst Hand anlegte und die heilige Kuh mit sich führte.“
 
Śantanu ahnte, wie die Geschichte weitergehen würde. Als er sah, wie Devavrata wieder begonnen hatte, Halbkreise zu zeichnen, stellte er sich neben den sichtlich verlegenen Jüngling und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Der Junge dankte es mit einem leichten Nicken und lächelte. Den nächsten Satz betonte Gaṅgā etwas bestimmter und etwas lauter, bevor sie wieder in ihren dezenten Tonfall zurückfiel. „Natürlich hätten diese törichten Dummköpfe sich denken können, dass Vasiṣṭha von dem dreisten Raub erfahren würde, denn vor solch einem Asketen kann man nichts verbergen! Natürlich verstand Vasiṣṭha mit Hilfe seiner mystischen Kräfte, was sich zugetragen hatte. Er berührte Wasser, sammelte seinen Geist und verfluchte die Acht Vasus! Der Bannstrahl lautete, dass alle acht Übeltäter auf der Erde Geburt nehmen mussten! 
 
Als die Brüder von diesem Fluch erfuhren, kamen sie wieder zu Sinnen. Schuldbewusst brachten sie Vasiṣṭha seine kāmadhenu zurück, fielen ihm zu Füßen und baten ihn in aller Demut um Vergebung. Nun kann aber solch ein Bann niemals rückgängig gemacht werden, denn die Worte eines brahmarṣi werden sich immer als wahr erweisen. Doch man kann um Milde bitten. Vasiṣṭha allerdings war sehr ungehalten und sein Zorn zog sich nur ausgesprochen widerwillig zurück.
 
‚Dies ist selbst für Erdlinge ein schändliches Verhalten, ganz zu schweigen für Götter’, belehrte er wütend die Frevler, die mit gesenkten Köpfen vor ihm knieten. ‚Kindische Lüstlinge! Habt ihr in euren Welten nicht schon genug Genuss? Wenn ihr eine kāmadhenu wollt, dann müsst ihr schon nach Vaikuṇṭha gehen! Da sollte euch eure Gier hinführen, dann wäre sie in vollkommener Weise genutzt! Gierig nach Vaikuṇṭha zu sein, wäre die Vollkommenheit eurer Charakterschwäche gewesen. Aber für diese Weitsicht fehlte euch die Ruhe des Geistes. Lasst euch dies eine Lehre sein – den Wünschen der Sinne allzu leicht nachzugeben, führt meist dazu, ungesunde Früchte zu ernten. Ungezügelte Lust führt zu Gier und Zorn, manchmal sogar zu Verrücktheit und Neid.’ Bei diesen Worten erinnerte sich der Sādhu wieder daran, dass es diese Wunsch erfüllenden Kühe ja tatsächlich nur in der spirituellen Welt gab, und selbst da nicht einmal auf allen Planeten. Dass es ihm vergönnt war, dieses unvergleichliche Tier an seiner Seite zu wissen, rief in ihm großen Stolz und Dankbarkeit hervor.
 
Der Gedanke an Nandinīs Vorzüge und die aufrichtig empfundene Reue der Vasus stimmten ihn schließlich milde. ‚Eure Missetat fordert Sühne, doch soll sie nur von kurzer Dauer sein. Sie muss kein ganzes Leben umfassen. Lediglich euer Anführer kann sich nicht so leicht aus der Verantwortung stehlen. Zwar wird er gleichermaßen kampfesmutig wie gelehrt sein. Mehr noch, Dyau wird für sein Wissen über die Vedas selbst von den größten Weisen bewundert werden! Aber...’, und Vasiṣṭha machte eine bedeutungsschwere Pause, ‚seine Lektion wird von längerer Dauer sein. Er wird ein langes Leben auf der Erde zubringen müssen!’ Dies war Vasiṣṭhas letztes Wort.“ 
 
Devavrata schaute dankbar auf seine Mutter, denn diese hatte den Rest des Fluches nicht offenbart. Dies war auch gut so, Śantanu könnte dieses – durchaus bedeutende – Detail auch später noch erfahren. Jetzt hätte dieses Wissen ihm einfach zu viele Schmerzen bereitet. 
Vielleicht müsste Śantanu nie die ganze Wahrheit erfahren. Im Moment überließ Gaṅgā es jedenfalls Devavrata, wem und wann er das Geheimnis des Fluches in Gänze offenbaren wollte. 
 
Śantanu hätte es in diesem Moment tatsächlich wenig interessiert, was sich Vasiṣṭha noch als Strafe hatte einfallen lassen. Er hörte nur, dass seinem Sohn ein langes Leben beschieden war, dass er ein großer König und Weiser sein und dass er sogar mit Viṣṇu gemeinsam auf dem Schlachtfeld stehen würde. Zwar ließen diese Aussichten kaum noch Wünsche für einen Vater offen, doch Neugier ist ein Drang, der nur schwer zu beherrschen ist. „Und wie ging es dann weiter?“, begehrte Śantanu zu erfahren. Gaṅgās Gesicht erstrahlte wieder mit diesem Lächeln, das Śantanu schon immer völlig verzaubert hatte. Dieses Lächeln! Welcher Mann sollte dem widerstehen können! 
 
„O dieses Lächeln“, dachte Śantanu, „dieses Lächeln! Dieses Gesicht – wie es der Schöpfer nicht besser hätte formen können. Dieser Körper – mit seinen einladenden Hüften, seinen wohlgeformten und perfekt proportionierten Gliedmaßen, seinem betörenden Duft, mit diesem leichten, beschwingten Gang, mit...“. Śantanu zwang sich, seinen schwärmerischen Ausflug zu beenden. Wenngleich er zugeben musste, dass die Erinnerungen an ekstatische Nächte, in denen sie sich beide in den Spielen körperlicher Liebe verloren hatten, ihn nicht nur deswegen angenehm umschmeichelten, weil sie Gefühle aufleben ließen, die er schon lange nicht mehr gekostet hatte, sondern auch, weil sie doch die Hoffnung auf eine mögliche Fortsetzung der alten Beziehung in sich bargen. 
 
In Gaṅgās bezwingendes Lächeln schien sich tatsächlich etwas Mitleid zu mischen. Śantanu verstand, dass sie, wie früher schon so häufig, seine Gedanken empfangen hatte. Wenn er ihren Gesichtsausdruck richtig deutete, würde seine Hoffnung allerdings nicht in Erfüllung gehen. Nein, Gaṅgā würde nicht noch einmal an seiner Seite liegen. Gut, dass sie jetzt ihre Erzählung fortsetzte, denn dies lenkte Śantanus Aufmerksamkeit wieder auf etwas Angenehmeres, etwas Bleibendes – seinen Sohn.
 
„Trotz Vasiṣṭhas großzügiger Einwilligung in eine Milderung des Fluches waren die Vasus noch immer betrübt und ängstlich. Wer will schon freiwillig hinunter auf die Erde gehen? Von bestimmten Yogis und Bhaktas einmal abgesehen, die den Menschen helfen wollen, aus dem Jammertal irdischen Genusses befreit zu werden, ist es für keinen Bewohner der himmlischen Planeten ein erstrebenswertes Ziel, den Ort der Sterblichen zu besuchen. Für die Vasus war es auf jeden Fall ein schwer erträglicher Gedanke, ihre geliebten himmlischen Welten gegen diese Erde eintauschen zu müssen. Als sie in dieser Stimmung zu erwartender Trübsal vor der Versammlungshalle Indras standen und über ihr Schicksal diskutierten, verließ ich gerade diesen Hort des Genusses. Dass ich Indras Palast verlassen musste, hatte übrigens etwas mit deinem Verhalten zu tun, o Rājendra. Doch dazu später.“ Śantanu war nun vollends verwirrt. Dass Gaṅgā eine Versammlung der Götter seinetwegen verlassen hatte, wollte ihm nicht in den Kopf. Die Geschichte wurde immer seltsamer. 
 
„Die Vasus baten mich um Hilfe und natürlich versicherte ich ihnen meinen Beistand. Sie baten mich, auf der Erde zu erscheinen, denn der Gedanke im Leib einer gewöhnlichen Frau aus der Gattung der Menschen leben zu müssen, behagte ihnen wenig. Als ich sie fragte, wer denn ihr Vater sein solle, berichteten sie mir von einem frommen König namens Pratīpa, der bald einen Sohn mit Namen Śantanu haben würde. Diesem Sohn sei es vorherbestimmt, ihr Vater zu werden. So erschien ich dir eines Tages und erlaubte dir, Kinder mit mir zu zeugen. Verstehst du nun, warum ich jeden deiner Söhne schon kurz nach seiner Geburt meinen Fluten anvertraute?“ Śantanu versuchte das Puzzle zusammenzusetzen. Langsam fügte sich das Bild und er antwortete: „Jetzt begreife ich auch deine Worte. Mit dem Satz ‚Dies ist lediglich zu eurem Besten’ warfst du jedes Mal diese winzigen Bündel der Unschuld in die wilden Wasser. Es war ihr eigener Wunsch, möglichst schnell diesen Planeten wieder zu verlassen!“ 
 
Śantanu war erleichtert, dass der Tod seiner Söhne ihr Leiden nicht gesteigert, sondern vielmehr verkürzt hatte. Jetzt würde er wieder etwas ruhiger schlafen können. Jetzt konnte er auch der Stimme, die ihm fast jede Nacht einflüstern wollte, dass er ein unfähiger König sei, mutig gegenüber treten. Am Tod dieser Kinder traf ihn überhaupt keine Schuld! Es war ein Werk der Vorsehung und er hätte nichts dagegen machen können. Als ob er einen Felsen von sich geworfen hatte, so sprudelte es aus ihm hervor: „Dann war es auch vorherbestimmt, dass ich bei meinem achten Sohn nicht mehr an mich halten konnte. Deshalb auch deine Bedingungen! O jetzt verstehe ich, all dies geschah einem höheren Plan folgend.“ 
 
Die Göttin nickte. „So ist es, mein Herr. Ich wusste, dass du meine zwei Bedingungen bei deinem achten Sohn nicht mehr würdest einhalten können. Bis zu diesem Tag warst du stark geblieben – du hattest keine meiner Handlungen in Frage gestellt und nie ein unziemliches Wort gegen mich erhoben! Denn dies waren die beiden Bedingungen, die du erfüllen musstest, wolltest du mich an deiner Seite wissen. Sieben tote Söhne hattest du klaglos hingenommen. Ich weiß, wie du gelitten hast, und es verwunderte mich nicht, dass du nach mich der achten Geburt hier am Ufer dieses Stromes hindertest, auch noch den achten der Brüder den Wellen anzuvertrauen. ‚Wie kannst du es wagen! Was bist du für eine herzlose Mutter! Halte ein, verschone wenigstens dieses eine wehrlose Kind!’ – das waren deine Worte, o bester unter den Beschützern der Menschen.“
 
Und Devavrata, der wieder aller Scham entledigt schien und dessen Augen glänzten, obwohl er die Geschichte wohl schon Dutzende Male gehört hatte, fügte hinzu: „Ja mein Vater, und dann hast du noch gesagt: ‚Lass mir wenigstens diesen einen Jungen. Ich gebe dir mein Augenlicht, ich gebe dir meinen Reichtum, meine Diener, meine Schatzkammer. Für diesen einen Sohn gebe ich dir mein ganzes Königreich. Ich bitte dich, ich flehe dich an, ich falle dir zu Füßen.’ O mein armer Vater, der du weder dein letztes Leben kanntest noch das vorangegangene Leben von uns Vasus, welche Schmerzen musst du erlitten haben. Ich fühle mit dir.
 
Glaube mir, ich habe meine Mutter oft gebeten, mich früher zu dir gehen zu lassen. Aber sie bestand darauf, dass ich erst meine Ausbildung abschließen muss, bevor ich meinen Aufgaben auf diesem Planeten, mit dir zusammen und auf ewig vereint, nachkommen kann. Zürne deiner Königin nicht länger, ihre Worte waren wahr – sie tat all dies nur zu deinem Besten. Sie tat all dies zu deinem Wohle und zum Wohle der anderen Lebewesen. Glaube mir, auch wenn es jetzt vielleicht noch schwer hinzunehmen ist, die heilige Gaṅgā lebt ausschließlich zum Wohle aller Menschen. Die Vereinigung mit ihr wird dir einen ewigen Nutzen schenken. 
 
Und außerdem“, und beim letzten Wort legte der verlorene Sohn die Hand auf Śantanus Arm, „ich bin ja jetzt da. Und wie du gehört hast, werde ich noch viele Jahre hier verbringen. Lass die Vergangenheit ruhen – was geschehen ist, ist geschehen.“
 
Śantanu holte einmal tief Luft und versicherte dann seinem Sohn: „Wahr sind deine Worte und im Einklang mit unseren alten Schriften. Wahrlich, heute habe ich viel gelernt und noch mehr gewonnen. Ein Vater kann auch von seinem Sohn lernen, ein König auch von seinem Volk. Ich habe von meinen belesenen Lehrern über Yogis gehört, die von jedem Lebewesen gelernt haben. In der Tat, jeder Mensch, ja jedes Tier kann dich etwas lehren. Man muss nur genügend Respekt und Demut tragen. Es gibt überall etwas zu entdecken. 
 
So lass uns denn nach vorne schauen, geliebter Devavrata. Lass uns nach Hause, in deine neue Heimat, reiten. Lass uns alle Wachen und Köche und Brāhmaṇas aufwecken. Heute Nacht soll niemand schlafen, bis morgen wird gefeiert! Lass mich nur noch deiner Mutter meine Ehrerbietungen erweisen. Zu lange habe ich ihre göttliche Natur verkannt. Ich möchte mich gebührend von ihr verabschieden.“ 
 
Doch Gaṅgā war, zumindest in ihrer persönlichen Form, bereits entschwunden. Nichts erinnerte mehr daran, dass diese Göttin, die Viṣṇu so überaus lieb ist, noch vor einigen Augenblicken vor Śantanu gestanden hatte. Der König war sich noch nicht einmal sicher, ob er den lieblichen Duft, den seine wunderschöne Königin stets umgab, tatsächlich noch roch oder ob er sich dies nur einbildete. Sie war also zum zweiten Mal gegangen und er bezweifelte, dass er sie jemals wiedersehen würde. 
 
Zumindest hatte er aber nun ihren Namen und vor allem ihre Identität erfahren. Seine Träume würden folglich wohl etwas weniger vage sein, vermutete er. Und sicherlich würde er diesem heiligen Fluss, den die Menschen seit Millionen von Jahren verehrten, von nun an anders gegenübertreten. Schon immer hatte er Ehrfurcht, Dankbarkeit und Erleichterung von der Last der täglichen Pflichten bei einem Bad oder einem Besuch gespürt. Nun würde sich auch noch eine tief und stetig glimmende Liebe in seine Bewunderung mischen. Trotzdem, der Schmerz des Verlustes war fast genauso groß wie schon beim ersten Mal. Und er hätte dieser mandeläugigen Schönheit noch so viel mitteilen wollen. 
 
„Gräme dich nicht“, tröstete Devavrata den obersten Souverän Hastināpuras, „sie weiß, was du ihr sagen wolltest. Sie zürnt dir in keiner Weise. Glaube mir, ihre guten Wünsche werden dich auf all deinen Wegen begleiten. Und ein gerechter König wie du wird zweifellos nach diesem Leben auf die himmlischen Planeten gehen dürfen. Dort wirst du Gaṅgā wiedersehen können.“ Śantanus Intelligenz stimmte den Worten Devavratas voll und ganz zu, doch seine Gefühle folgten einem anderen Rhythmus. Sein Verständnis war bereits ins Reich der Vergebung galoppiert, da schlichen seine Wut, seine Enttäuschung und sein Stolz noch mühsam hinterher.
 
„Aber ich...“, schluchzte Śantanu, „ich hatte noch so viele Fragen. Wieso wählte sie mich? Und was sollte das heißen, dass ich etwas damit zu tun hatte, dass sie Indras Palast verlassen musste? Und warum ist sie so schnell wieder verschwunden? Denkst du wirklich, dass ich sie jemals wiedersehen werde? O mein Sohn, wenigstens bist du mir geblieben!“
 
Devavrata klopfte seinem Vater zärtlich auf die Schulter und versuchte, ihn zu beruhigen. „Mahārāja, ich werde dir alle deine Fragen beantworten. Trauere nicht weiter. Wir haben genügend Zeit, dass ich dir den Rest der Geschichte erzähle. Lass uns nach Hastināpura zurückkehren. Die Dämmerung kündigt sich schon an und deine Untergebenen sorgen sich sicher um dich, da du noch nicht zurückgekehrt bist.“
 
Śantanu musste zugeben, dass sein Sohn Recht hatte. Was nützte es, das Vergangene zu bejammern. Es war bereits geschehen und konnte nicht mehr geändert werden. Viel besser war es, sich auf die Zukunft zu konzentrieren. Es war Zeit aufzubrechen. Er rief sein Pferd, das schon seit geraumer Zeit gelangweilt auf seinen Zuruf gewartet hatte. Satt und ausgeruht trabte es fröhlich heran, mit einem Auge aber auch immer den Fremdling beobachtend. 
 
Śantanu tätschelte sein Schlachtross und fasste die Zügel. Er warf noch einmal einen Blick auf die Stelle, an der Gaṅgā, die Person, gestanden hatte, und auf Gaṅgā, den Fluss, der in gewohnter Weise seinem Lauf folgte. Gut, alles war wieder in Ordnung. Was für ein Tag!
 
Er trat etwas zur Seite und deutete seinem Sohn an, dass dieser nun auf das Pferd steigen solle. Devavrata aber entgegnete seinerseits mit einer Geste, die eindeutig Śantanu aufforderte, sich zuerst auf das Tier zu schwingen. Seine tiefe Verbeugung und sein ausladender Armschwung erinnerten Śantanu an einen Höfling, der sich vor seiner Obrigkeit verbeugt. Er konnte sich nicht helfen, aber die Körperhaltung des Burschen verriet, dass er zwar gewillt war, dem Alter den Vortritt zu gewähren, er sich aber in der Reitkunst weit überlegen fühlte. Allein für dieses verschmitzte, süffisante Lächeln liebte Śantanu seinen Sohn. Mit diesem Burschen würde es sicher nicht langweilig werden. 
 
Śantanu saß auf. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie sich der Knabe, ohne die Steigbügel zu benutzen, mühelos auf den Pferderücken schwang. Geschmeidig und sanft hatte Devavrata hinter seinem Vater Platz genommen. Mit seinem rechten Arm umfasste er den Bauch Śantanus, allerdings weniger, weil er fürchtete, vom Pferd zu fallen, als vielmehr aus familiärer Verbundenheit. Śantanu störte es nicht. Er ließ Candrāṁśa leicht auf die Hinterbeine steigen und feuerte die Stute an, so schnell sie konnte nach Hause zu eilen. 
 
In diesem Moment dachten alle drei dasselbe – was für ein Tag! Śantanu freute sich, einen Sohn erhalten zu haben. Devavrata freute sich, endlich bei seinem Vater zu sein und viele irdische Abenteuer zu erleben. Und Candrāṁśa freute sich, da sie gesehen hatte, dass ihr Herr so glücklich schien und befreit lächelte wie schon seit langem nicht mehr. Und sie freute sich auf die erstaunten Gesichter der Pferde und der anderen Tiere in den heimatlichen Stallungen, wenn sie ihnen von den unglaublichen Ereignissen des heutigen Tages berichten würde. 

 

 
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