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Arjuna kauerte auf der blutgetränkten Erde. Völlig in sich zusammengesunken umschlang er mit seinen Armen die angewinkelten Knie und versuchte vergeblich, sein Gesicht zwischen seinen Oberschenkeln zu vergraben. Obwohl er sein Haar sowie auch sich selbst seit dem Ende der Schlacht, die später als die schrecklichste und gewaltigste Schlacht der Menschheitsgeschichte bekannt werden sollte, schon ein paar Mal gewaschen hatte, wirkte er noch immer etwas ungepflegt angesichts der Reste von Knochensplittern, Blut und Stofffetzen, die noch immer an ihm klebten.

Yudhiṣṭhira blickte besorgt auf seinen jüngeren Bruder und versuchte, heute bereits das zweite Mal, ihn ein wenig aufzumuntern. „Es gibt keinen Grund sich zu grämen, bester unter den Bogenschützen. Es war unsere Pflicht, diese Schlacht zu schlagen. Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Es ist nicht unsere Schuld, dass Duryodhana alle Friedensangebote ausgeschlagen hat. Selbst Kṛṣṇa hat versucht, unseren Vetter zu überzeugen, aber du weißt selbst, was dann geschah.“

Yudhiṣṭhira machte eine Pause, trat noch etwas näher an seinen geliebten Bruder heran und legte ihm die Hand auf den Kopf. „Glaube mir, auch ich hätte diesen Krieg gern vermieden. Auch ich habe ungern das Blut von Millionen von Kriegern vergossen, aber ...“ Arjuna fiel seinem Bruder ins Wort, was er unter normalen Umständen nie gewagt hätte, denn dies stellte eine Respektlosigkeit dar, die man damit vergleichen konnte, seinen Bruder getötet zu haben. Beide Söhne Pāṇḍus wussten dies nur allzugut, schließlich hatte Yudhiṣṭhira mit dem Hinweis auf diese vedische Aussage Arjuna noch vor ein paar Tagen das Leben gerettet. Doch dies war eine andere Geschichte. „Nein Yudhiṣṭhira, das ist es nicht, was mich verzagen lässt“, und den Kopf von den Schenkeln hebend, fuhr er fort, „das bedrückt mich zwar auch, aber der Grund für meinen schmerzenden Hals und mein wundes Herz ist nicht der Kampf, den wir die letzten Tage schlagen mussten. Wir haben gewonnnen, und das Recht war auf unserer Seite. Nein, mein edler Bruder, das ist nicht der Grund für meinen Kummer.“

Yudhiṣṭhira legte die Hand um die Schulter seines Kampfgefährten und lächelte mild. „Was ist es dann, das in dir wütet? Was bringt den größten Kämpfer, den die Welt je gesehen hat, in solche Bedrängnis?“ Yudhiṣṭhiras große, gütige Augen vermittelten Hoffnung. Er lächelte wie jemand, der jede auch noch so große und scheinbar unüberwindliche Gefahr besiegt hatte, wie jemand, der weiß, dass er unter allen Umständen von Viṣṇu beschützt wird, wie jemand, der fest darauf baut, dass auf jedes Tal des Kummers irgendwann ein Berg des Lichts folgt, wie jemand, der weiß, dass er bisher noch immer einen Ausweg und Erleichterung für seine vier Brüder gefunden hatte.

Arjuna hob den Kopf und schaute dem zukünftigen Kaiser direkt in die Augen. „Ich bin immer wieder überrascht, woher du deine Ruhe nimmst. Einen Steinwurf entfernt liegt Großvater Bhīṣma auf diesem feindbesudelten Feld und stirbt! Wie kannst du das so gelassen hinnehmen! Großvater Bhīṣma...“, Arjuna schluckte, wäre er nicht so selbstbeherrscht, hätte er wahrscheinlich seine Tränen nicht aufhalten können. Aber er hatte sich schon in ganz anderen Situationen unter Kontrolle halten müssen, und so schaffte er es, dass keine einzige Träne sein Auge verließ. Noch nicht. Allerdings musste er immer wieder seinen Worten eine Pause gönnen, um tief und ruhig zu atmen.

„Gaṅgās Sohn Bhīṣma… , unser Großvater“, fuhr Arjuna, noch immer etwas stockend, fort, „er ist für uns mehr als nur ein Großvater. Er ist wie ein zweiter Vater für uns, er war unser Berater, unser Lehrer, er war unser Freund, unser Ausbilder, unser Beschützer. Und ich habe ihn gemeuchelt! Ich – sein eigener Enkel! Auch du, mein König, auch du hast ihn getötet. Wir Pāṇḍavas tragen die Schuld am Tode dieser edlen Seele. Ist es nicht so?“

Yudhiṣṭhiras Lächeln erfror. Die Hoffnung in seinen Augen hatte einer tiefen Trauer Platz gemacht. Er schaute an Arjuna vorbei auf den Horizont und schwieg. Doch Arjuna hatte seine Sprache nicht verloren. Obwohl er kein Mann von vielen Worten war, erzwang sich seine Verzweiflung den Weg aus seinem Geist über die Zunge. „Ist es nicht so? Sprich, Kenner des Dharmas, du bist berühmt für deine Weisheit. Selbst die größten Gelehrten bewundern deine Kenntnis der Schriften. Hast du jetzt keinen schlauen Vers aus den Veden zur Hand?“

Arjunas Ton wurde zunehmend angriffslustiger und lauter. „Kannst du mir das erklären? Kannst du mir erklären, warum ich gegen meinen Großvater kämpfen musste? Und warum dieser von mir so geliebte Mensch sogar Kṛṣṇa, meinen besten Freund, der doch auch ihm selbst unendlich teuer ist, angegriffen hat? Und warum kämpfte Bhīṣma überhaupt auf der Seite dieses arroganten Duryodhana? Und warum offenbarte er uns, wie wir ihn töten können?“ Arjuna war inzwischen aufgestanden und stand frontal vor Yudhiṣṭhira. Die nächste Frage schrie er fast seinem Bruder ins Ohr: „Und warum erlöst ihn Viṣṇu nicht von seinem Schmerzen und lässt ihn endlich sterben? Warum darf seine Seele nicht zu ihrem nächsten Ort des Lebens wandern? Warum ...? Warum?“

Arjuna versagten fast die Knie. Yudhiṣṭhira umarmte ihn schnell, mehr um ihn zu stützen, als um ihn zu trösten. Er spürte, wie Arjunas Burg der Selbstkontrolle bröckelte, denn einige von Arjunas heißen Tränen rannen an Yudhiṣṭhiras Brust herunter. Nachdem sich beide wieder voneinander gelöst hatten, wies Yudhiṣṭhira auf zwei kleinere Felsbrocken, die überraschenderweise nicht in der Schlacht pulverisiert worden waren. „Komm, mein Bruder, lass uns dort verweilen. Ich werde dir gern deine Fragen beantworten.“

Als sie die beiden Steine erreicht hatten, sahen die beiden Krieger, dass irgendjemand die Steine von allen Fleisch- und Blutresten befreit hatte. Frisch gewaschen glänzten sie stolz in der Sonne und waren oben flach genug, dass man auf ihnen halbwegs bequem sitzen konnte. Ohne weitere Umschweife setzte Yudhiṣṭhira das Gespräch fort. „Nun, berühmter Träger des Gāṇḍīva-Bogens, die Antworten auf deine ersten Fragen kennst du bereits. Wir haben vor der Schlacht all diese Dinge besprochen. Aber wenn du willst, kann ich alles noch einmal wiederholen.“ Arjuna machte eine abwehrende Handbewegung. Natürlich kannte er all die Antworten selbst, er hatte nichts vergessen. Aber manchmal wünscht sich selbst ein so unerschrockener Kämpfer wie Arjuna, dass er sich an bestimmte Dinge nicht mehr erinnern möge.

„Gut, starkarmiger Sohn Pāṇḍus. Dann lass mich zu deinen letzten beiden Fragen kommen. Warum erlöst Kṛṣṇa seinen Geweihten nicht von diesen Schmerzen, war deine Frage. Wie kann es sein, dass Bhīṣmas Seele sich noch immer in einem Körper befindet, der mit so vielen Pfeilen gespickt ist, dass nicht einmal eine Handbreit zwischen ihnen Platz findet. Glaube mir, edler Pāṇḍava, auch ich kann den Anblick dieses Elends kaum ertragen. Auch mich schmerzt es, zu sehen, wie Bhīṣma auf diesem Bett aus Pfeilen liegt und unerträgliche Qualen erleidet.“

Arjunas Geist schien sich inzwischen etwas beruhigt zu haben und er schaute seinem ältesten Bruder wissbegierig und voller Dankbarkeit in die Augen. Doch nun war es Yudhiṣṭhira, dessen Stimme stockte und der Mühe hatte, sich zu sammeln, bevor er fortfuhr. „Und das Schlimmste von allem ist, dass er all diese Pein auf sich nimmt, wegen ... wegen mir! Um mich zu unterweisen, hat er die Schlacht überlebt! O Arjuna, du hast mich einen Kenner des Dharmas genannt, doch bin ich, verglichen mit Bhīṣma, nur ein winziger dharmajña. Bhīṣma ist einer der mahājanas. Er ist einer der zwölf großen Autoritäten auf dem Gebiet des rechten Handelns. Wahrlich, er steht auf einer Stufe mit Nārada Muni, Brahmā, Śiva, Manu, meinem ehrenwerten Vater Yamarāja und Mahārāja Janaka.“

Nach einem tiefen Atemzug fuhr der zukünftige Regent der Welt fort. „Ja, es ist wahr, um mich, stellvertretend für alle Welt, in den Regeln des Dharmas zu unterweisen, um mich zu lehren, wie sich die Menschen in einer vollkommenen Gesellschaft im Allgemeinen und ein vollkommener Monarch im Besonderen zu verhalten haben, weilt Bhīṣma noch unter uns. Deshalb versammeln wir uns am Abend, um seinen Ausführungen zu lauschen. Deshalb besucht ihn sogar Kṛṣṇa an seinem Totenbett.“

Die Brüder schwiegen und schauten beide in die Richtung, in der Bhīṣmas Bettstatt lag. Arjuna durchbrach als Erster die beredte Stille. „Und wie lange wird er noch auf diesem Pfeilbett liegen müssen? Wie lange werden die Geschosse noch in ihm wüten?“ Yudhiṣṭhira antwortete sofort und vollkommen ehrlich, so wie man es von ihm gewohnt war. „Ich weiß es nicht, Guḍākeśa. Es tut mir leid, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er heute Abend zum letzten Mal zu uns sprechen wird, dies hat er mir heute Morgen verraten. Ich hoffe, dass er dann heute Abend auch ...“, Yudhiṣṭhira wagte fast nicht, es auszusprechen, „... seinen Körper aufgibt“, half ihm Arjuna den Satz zu beenden.

„Ja, das meine ich“, pflichtete Yudhiṣṭhira leise bei. „Ich habe dir vor langer Zeit schon einmal davon berichtet, dass Bhīṣma einst die Segnung bekam, seinen Körper erst dann verlassen zu müssen, wenn er selbst es will. Daher kann ich nicht mit Gewissheit sagen, ob er ... Ich kann es nur hoffen.“ Wieder war es Arjuna, der nach einer Weile das Schweigen beendete. „Es ist wahr, Kaiser der Welt, dass du mir davon berichtet hast. Aber du hast mir nie erzählt, wer Bhīṣma diese Segnung gab und warum. Und wenn Bhīṣma auf der Stufe von Brahmā, Śiva und Manu steht, dann kann er dieses Wissen und diese Reinheit nicht allein in diesem Leben erworben haben. Wer war diese große Seele in seinem letzten Leben? Wer war dieser wohlmeinende Freund unseres Königshauses, bevor er seinen jetzigen Körper annahm? Und wer gab ihm seinen ungewöhnlichen Namen?

Mahārāja, du bist zweifellos in der Lage, mir all diese Geheimnisse zu offenbaren. Bitte berichte mir von dem Beschützer der Kurus. Du musst dich nicht sorgen, dass mich Trübsal erneut umfängt. Vielmehr werde ich mich an deiner Geschichte laben, denn über die Geweihten Viṣṇus zu hören, ist immer eine Erholung für Geist und Seele. Und bitte lass keine Details aus. Berichte auch über Bhīṣmas berühmten Vater, Kaiser Śantanu, der ein in der ganzen Welt geachteter Ahne unseres Königshauses war. Und erzähle mir alles über seine Mutter, unsere gütige Gaṅgā, die von allen Seelen in den drei Welten verehrt wird. Wie und wo haben sie sich getroffen? Bitte offenbare mir dein gesamtes Wissen, bester unter den vorbildlichen Königen.“

Yudhiṣṭhira setzte wieder sein gewinnendes Lächeln auf und gab Arjuna eine Antwort, die ihn anfangs verwunderte, denn bisher hatte Yudhiṣṭhira seinem jüngeren Bruder fast nie etwas abgeschlagen. „Nein, ich werde es dir nicht offenbaren. Vielmehr will ich es euch erzählen. Alle vier meiner Brüder sollen die Geschichte von dem edlen Devavrata hören, der später als Bhīṣma berühmt wurde. Ihr werdet alle begeistert sein, denn Bhīṣmas Geschichte ist für jeden lehrreich, unterhaltsam und charakterbildend.

So komm, bester der Wagenkämpfer, zeige deine Kunst. Schicke Bhīma einen Pfeil. Der zweitgeborene Pāṇḍava soll anschließend die Zwillinge informieren. Wenn Nakula, Sahadeva und der Sohn des Windgottes eingetroffen sind, will ich meinen Brüdern all das erzählen, was ich von Bhīṣma selbst und von Onkel Vidura gehört habe. Auch Vyāsadeva hat mir noch einige interessante Details mitgeteilt, die nicht vielen Sterblichen bekannt sind. Lass jetzt deine Pfeile sprechen, o Bezwinger deiner Feinde. Der Tag ist noch jung und wenn du wirklich die ganze Geschichte hören willst, werde ich Mühe haben, bis heute Abend alles erzählt zu haben.“

Arjuna zögerte keinen Augenblick. Er stieg auf den Felsbrocken, schaute ein wenig in die Ferne, spannte seinen Bogen, und im nächsten Moment ging einer seiner unfehlbaren Pfeile auf die Reise. Er hatte offensichtlich etwas getroffen, denn im nächsten Augenblick, hörten die beiden Brüder den lauten Schrei eines Mannes. Obwohl der anscheinend Getroffene gut zwei Speerwürfe weit entfernt war, war deutlich zu vernehmen, dass ihn irgendetwas gewaltig ärgerte. Yudhiṣṭhira war nun auf den anderen Stein gestiegen und sah, wie sich Bhīma, in einer Hand eine Kokosnuss haltend, schnell näherte.

Bhīma war kein Kind von Traurigkeit und es lag ihm wenig daran, seine Gedanken in galante Worte zu kleiden. Daher wunderte sich Yudhiṣṭhira auch nicht über die ohne Umschweife vorgetragenen Worte dieses starkarmigen Kämpfers. „Wer von euch beiden hat es gewagt!“, begann Bhīma schnaubend. Als er sah, dass nur Arjuna einen Bogen in der Hand hielt, wurde ihm die Antwort von allein klar. „Natürlich, das hätte ich mir denken können, mein Brüderchen Arjuna war wieder einmal zu Späßen aufgelegt. Du hättest mir auch einen einfachen Pfeil senden können, ohne dass mir der halbe Ast mit einer Kokosnuss auf den Kopf fällt, o Sohn Indras. Also, was gibt es denn so eiliges, dass ihr mich beim Essen stören müsst?“

Beide so Angesprochenen lächelten belustigt über ihren Bruder, der sich immer noch mit einer Hand die große Beule über seinem rechten Ohr rieb und die Kokosnuss unter dem Arm hielt, als wäre es eine eben erbeutete Trophäe. „O unbezwingbarer Recke, du wirst diesen kleinen Angriff des Baumes verschmerzen können“, antwortete ihm Yudhiṣṭhira. „Und auch der Baum hat keinen großen Schaden genommen, denn dank Indras Segnung wachsen den Bäumen ihre Gliedmaßen nach. Es gibt also keinen Grund zur Klage. Höre, warum ich dich rufen ließ. Ich möchte uns alle hier versammelt sehen, denn ich habe euch Wichtiges zu berichten. Weißt du, wo die Zwillinge sind?“

Bhīma rollte mit den Augen, als sei dies eine völlig überflüssige Frage. „Wo sollen sie schon sein? Natürlich bei den Stallungen, wo sonst? Ich weiß nicht, was die beiden im letzten Leben angestellt haben, dass Viṣṇu solche Pferdenarren aus ihnen gemacht hat. Aber anscheinend haben sie eine besondere Segnung von Hayagrīva bekommen. Soll ich sie holen?“ Yudhiṣṭhira nickte. Bhīma machte sofort kehrt und rannte los. Während sich der Sohn Kuntīs und Vāyus rasend schnell entfernte, legte Arjuna erneut einen Pfeil auf die Sehne seines sagenumwobenen Bogens und murmelte ein Mantra. Noch während er zielte, begann er zu grinsen.

Arjunas Pfeil spaltete sich, kaum dass er den Bogen verlassen hatte, in ein Dutzend Pfeile, die bereits nach wenigen Augenblicken Bhīma überholten und vor ihm in der Erde niedergingen. Allerdings nicht alle auf einmal, sondern immer einer hinter dem anderen und immer kurz vor Bhīmas Fuß. Dieser versuchte instinktiv dem Hindernis vor sich auszuweichen, was ihm auch bei den ersten Pfeilen durch Zick-Zack-Laufen noch gelang. Schließlich wurde er jedoch so sehr aus dem Rhythmus gebracht, dass er stolperte und der Länge nach hinschlug.

Bhīmas Missfallen war nicht zu überhören. Wütend wollte er die unreife Kokosnuss, die er immer noch bei sich trug, da er sie wahrscheinlich als Durstlöscher nach seinem anstrengenden Lauf verwenden wollte, auf die Erde schleudern. Doch im letzten Moment besann er sich, schaute in Richtung des Bogenschützens und feuerte die Kokosnuss wie eine Rakete ab. Arjunas Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Er legte einen Pfeil an und sprang, genau in dem Augenblick, als das Geschoss seinen Bogen verließ, hinter den Stein und duckte sich. Yudhiṣṭhira hatte nicht einmal mehr Zeit, um sich über Arjunas Sprung zu wundern, da bemerkte er, dass der Pfeil noch immer an der Stelle schwebte, an der sich Arjunas Bogen befunden hatte. Er begriff, was Arjunas Plan war und warf sich hinter den zweiten Stein, doch es war zu spät. Die Kokosnuss traf auf den Pfeil und wurde von ihm in tausend Stücke zerfetzt. Die Nussschale und ihr nahrhafter, flüssiger Inhalt spritzten in alle Richtungen und besudelten den Rücken Yudhiṣṭhiras.

Als sich der älteste Pāṇḍava umdrehte, sah er vor sich den knienden Arjuna, der mit gesenktem Haupt zu ihm sprach: „Verzeiht, mein Kaiser. Ich wollte Euch lediglich vor dem Angriff dieser Rakete beschützen. Es lag mir fern, Euch mit Kokosnuss zu übergießen.“ Yudhiṣṭhira hob abweisend die Hand, als wolle er sagen: „Schon gut, spar dir deine Ausflüchte, ich weiß genau, was du bezweckt hast.“ Während er versuchte, sich den Staub und die nassen Kokosnussstücke vom Körper zu klopfen, fuhr er in einem ironischen Tonfall fort. „O von Indra gesegneter Bruder, natürlich war es reiner Zufall, dass sich die gesamte Frucht über mir entleert hat. Spar dir deinen Spott! Sieh mich nur an – ich gleiche einem Elefanten nach dem mittäglichen Schlammbad. Aber zumindest kann ich deinem Scherz entnehmen, dass dein Kummer über das Leid von Großvater Bhīṣma von deiner Kampfeslust besiegt wurde. Komm, du hinterlistiger, kleiner Bruder, lass uns noch schnell ein Bad nehmen, bevor unser immerhungriger Sohn des Windes, der in seinem Appetit sogar noch  Hanumān übertrifft, mit den beiden Pferdemenschen zurückkehrt.“

Während also Yudhiṣṭhira und Arjuna, die wie ihre anderen drei Brüder allesamt Söhne der Götter waren, eine Bademöglichkeit aufsuchten, stoben Bhīma, Nakula und Sahadeva heran. Die Zwillinge ritten beide hochbeinige, rabenschwarze schlanke Pferde, die sich genauso bis aufs Haar glichen wie ihre beiden Reiter. Bhīma jagte auf einem etwas kleineren, gedungenen Braunen heran, dem es anscheinend unangenehm war, vor den beiden Rappen reiten zu müssen.

Die Reiter erreichten den Versammlungsort, saßen ab, ließen die Zügel ihrer Pferde frei und setzten sich vor die zwei Steine auf den Boden. Dass niemand sie an den Steinen empfing, machte sie nicht unruhig. Yudhiṣṭhira hatte sie zu sich gerufen, also war es unwichtig, wann er zu ihnen stoßen würde. Wenn es sein muss, hätten sie auch Tage auf ihren geliebten Bruder gewartet, denn dieser war die Verkörperung aller Tugenden eines Menschen.

Als sich Yudhiṣṭhira und Arjuna näherten, erhoben sich die drei und verbeugten sich alle demütig vor ihrem ältesten Bruder, denn dies gebot der Respekt, den man vor Älteren haben sollte. Aber von den drei Reitern verbeugten sich nur die Zwillinge auch vor Arjuna, denn dieser verbeugte sich wiederum vor Bhīma. Bhīma legte vor jeden der fünf Sitzplätze ein paar Früchte und einen mit Wasser gefüllten Beutel. Er ahnte, dass Yudhiṣṭhira nicht nur etwas Wichtiges zu sagen hätte, sondern dass es wohl auch eine geraume Zeit in Anspruch nehmen würde.

Arjuna nahm seinen Bogen zur Hand, legte einen der Pfeile mit goldenem Schaft auf die Sehne, murmelte mehrere Mantras und schoss den Pfeil senkrecht in den Himmel. Sofort erhob sich ein Sturm, und das allen so wohlbekannte Pfeifen erfüllte die Luft. Im Nu war um die drei Pferde und fünf Menschen ein Haus aus Pfeilen entstanden, dessen Dach und zwei Wände Schutz vor den leichten Sandstürmen bot, die sich hin und wieder zeigten.

Yudhiṣṭhira war zufrieden mit diesem Arrangement und setzte sich auf den größeren der beiden Steine. Liebevoll betrachtete er seine vier Brüder, die inzwischen ebenfalls auf dem Stein und dem Boden Platz genommen hatten. Es war beileibe nicht selbstverständlich, dass alle Pāṇḍavas noch am Leben waren. Die achtzehn Tage währende Schlacht in Kurukṣetra hatte Millionen von Kriegern das Leben gekostet. Nicht einmal ein Dutzend Kämpfer hatten diesen furchtbaren Krieg überlebt. Seit ihrer Kindheit schwebten die fünf Brüder in Lebensgefahr und es war, neben ihren eigenen Kampfkünsten, wohl nur dem besonderen Schutz Kṛṣṇas zu verdanken, dass sie bisher alle Gefahren schadlos überstanden hatten.

Yudhiṣṭhira spürte eine große Dankbarkeit gegenüber Kṛṣṇa, aber auch gegenüber Bhīṣma, denn dieser unverwüstliche göttliche Krieger hatte zwar in der Schlacht der Seite der Pāṇḍavas gewaltige Verluste beigebracht, hätte aber ein noch viel größeres Unheil anrichten können. Dessen war sich Yudhiṣṭhira sicher.

Doch trotz aller Schlachten, die Yudhiṣṭhira bisher geschlagen hatte, trotz aller Bedrohungen, die er schon erdulden musste, vor ihm lag die schwierigste Aufgabe seines Lebens – er sollte als oberster Herrscher die Welt regieren. Unter seiner Herrschaft sollten die Menschen, Tiere und Pflanzen des Planeten wachsen und gedeihen. Ihm oblag es, jedes Lebewesen zu beschützen und als Kaiser der Diener nicht nur der Brāhmaṇas und Devas, sondern aller Lebewesen auf der Erde zu sein.

So begann er denn, umgeben von seinen geliebten Brüdern und vor der sengenden Sonne mit einem Dach aus Pfeilen beschirmt, seine Erzählung. Nachdem er Viṣṇu, seinen Gurus, den Brāhmaṇas, Bhīṣma, den wichtigsten Devas, seinem Vater, seiner Mutter und seinen Brüdern Respekt gezollt hatte, nahm er einen Schluck Wasser, atmete einmal tief durch und räusperte sich. Yudhiṣṭhira wusste, dass es ihm nicht leicht fallen würde, die Geschichte Bhīṣmas zu erzählen. Denn auch wenn der berühmte Beschützer des Königshauses der Kurus, der höchstpersönlich den Pāṇḍavas mehr als einmal das Leben gerettet hatte, nicht in Sichtweite war, so stand doch jedem der fünf unzertrennlichen Söhne Pāṇḍus das Bild des auf Kriegspfeilen Gebetteten deutlich vor Augen.

„O ihr Söhne Kuntīs und Mādrīs, o ihr treuen Verfechter des Dharmas, so hört, wie Bhīṣma einst zur Erde kam und wie er unser väterlicher Freund wurde. Arjuna hat mir heute Morgen einige wichtige Fragen gestellt, die unseren geliebten Großvater Bhīṣma betreffen. Heute Abend wird er zum letzten Mal zu uns sprechen und so ist es angemessen, euch heute etwas über ihn, seine Mutter Śrīmatī Gaṅgāmātā und seinen Vater Mahārāja Śantanu zu erzählen.

ört aufmerksam zu, wenn ich euch davon berichte, warum die Götter Bhīṣma auf die Erde sandten. Hört von mir, was und von wem diese große Seele auf den himmlischen Planeten lernte und vernehmt, wie er einst seinen Namen erhielt.

Möge Viṣṇu uns von allen Seiten beschützen! Möge Śrī Rāma, der größte König aller Zeiten, uns mit Demut segnen! Möge Mahārāja Bhīṣma uns wohlgesinnt sein! Und möge Sarasvatī, die Göttin der Gelehrsamkeit, auf meiner Zunge tanzen! Lasst mich in einer Zeit beginnen, in der Mahārāja Śantanu bereits seit einigen Jahren von Hastināpura aus diese Welt regierte. Eines Tages begab sich folgendes ...“

 
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