Arjunāmitra blies drei Mal kurz in sein Muschelhorn. Dies war das Signal dafür, dass sich jemand dem Stadttor näherte, der keine Gefahr darstellte. Der Hauptmann stieg daraufhin zu seinem Soldaten nach oben auf die Palisaden und schaute in die Richtung, aus der sich der Wagen näherte. Beide sahen sofort, wer sich auf der breiten Straße, die zum Westtor führte, befand.
„Es ist ratharāja!“, berichtete Arjunāmitra seinem Vorgesetzten und diensthabendem Offizier Yuddhavīra pflichtgemäß, „unser Prinzregent kehrt zurück.“ Ohne ein Wort zu entgegnen, drehte sich Yuddhavīra um und winkte einer Gruppe von Musikern, die unweit des Tores gelangweilt im Schatten saßen oder lagen. Auf sein Zeichen hin sprangen alle Musiker auf die Beine und der durchdringende Klang von Gongs, Trompeten, Trommeln und Muschelhörnern war zu vernehmen.
Es dauerte nicht lange, da antworteten die Musiker von den anderen Toren der Stadt und schon bald hallte in jedem Winkel der Stadt die Begrüßungsfanfare für den Prinzregenten wider. Yuddhavīra saß inzwischen zu Pferde und musterte die anderen zwanzig Reiter, denen er befohlen hatte, ihn zu begleiten. Alles schien in Ordnung, die Pferde waren sauber gestriegelt und die Reiter ordentlich gekleidet und voller Aufmerksamkeit. Von anfeuernden Rufen und einem zusätzlichen, lauten Trommelwirbel begleitet, stoben alle durch das Tor und den Heimkehrenden entgegen.
Bhīṣma sah schon von weitem das Begrüßungskomitee heranstürmen. Die Pferde vor seinem Gespann waren inzwischen in Schritt gefallen und beäugten freudig ihre Artgenossen, die in einem Abstand von ungefähr zehn Pferdelängen vor ihnen abbremsten. Holganda, ein edler, kräftig gebauter Grauschimmel, dessen Vorfahren aus den kalten, weit nördlich gelegenen, kaum bevölkerten Regionen stammten, warf den Kopf ein wenig unwirsch zurück, da er erhofft hatte, ungezügelt viele yojanas galoppieren zu dürfen. Schon nach einem halben yojana gebremst zu werden, behagte ihm überhaupt nicht
Yuddhavīra grüßte Bhīṣma und die beiden Gäste, indem er die flache Hand an sein Herz legte, den Kopf leicht senkte und Holganda auf die Hinterbeine steigen ließ. Die nachfolgende Reiterei folgte nur wenige Sekunden später seinem Beispiel und Bhīṣma grüßte mit der erhobenen, offenen Hand zurück. Daraus konnten alle schließen, dass weder eine Gefahr drohe noch ein besonderer Auftrag auszuführen sei, so dass Giriśāvani, der Stellvertreter Yuddhavīras, sein Pferd umgehend wendete, um den Torwachen entsprechende Nachricht zu geben.
Die Reiterstaffel teilte sich auf, wobei Yuddhavīra an der Spitze ritt, ihm rechts und links zwei Krieger nach außen versetzt folgten, jeweils fünf Kämpfer an den Seiten des Wagens ritten und die restlichen fünf Krieger hinter dem Wagen den Abschluss bildeten. Die Prozession glich in dieser Formation einem stolzen Schiff, das mit seinem Bug durch das ruhige Meer pflügt. Die vier Soldaten, die hinter Yuddhavīra an der Spitze ritten, und die fünf Soldaten am Schluss des Zuges trugen Standarten, an denen jeweils drei bunte Wimpel und die Fahne mit dem Emblem der Kurus flatterten.
Bhīṣma sah, wie das Stadttor Dutzende von Fußsoldaten ausspie, die unter der Führung Giriśāvanis hastig ein Ehrenspalier bildeten. Je nachdem, womit sie bewaffnet waren, hielten sie eine Lanze oder ein Schwert schräg in die Höhe oder knieten hinter ihren Waffen, sofern sie Bogenschützen waren. Giriśāvani hatte sich inzwischen wieder zu Pferd seinem Hauptmann genähert und empfing von ihm neue Anweisungen. Bhīṣma wusste, dass er den Befehl erhielt, der Prozession voraus zu eilen, um dem Kaiser die Ankunft des Prinzen und dessen Begleiter zu melden.
Viel würde der treue Kämpfer dem Oberbefehlshaber aller Truppen aber nicht über die Gäste, die Bhīṣma mitbrachte, berichten können. Mehr, als dass sich neben dem Prinzen noch ein Fischer und ein wunderschönes und bezaubernd duftendes Mädchen auf dem Wagen befanden, war ihm nicht bekannt. Bhīṣma war sich allerdings sicher, dass selbst diese dürftigen Informationen reichen würden, um Śantanu verstehen zu machen, wer sich da seiner Stadt näherte.
Wer ihn besuchen will, das würde Śantanu sicher schnell erraten. Aber warum dieses Trio kam und was es an erfreulichen Neuigkeiten für ihn im Köcher hatte, das konnte er natürlich nicht wissen. Bhīṣma lächelte. Während sie jetzt bereits durch das westliche Tor fuhren und er jovial die Huldigungen der Armee und der Einwohner Hastināpuras entgegennahm, sah er schon vor seinem geistigen Auge das überraschte Gesicht seines Vaters. „Das wird ihn umhauen“, dachte Bhīṣma, „darauf wird er nicht vorbereitet sein. Weiß Viṣṇu, wie sollte er auch. Noch bis vor wenigen Stunden wusste niemand auf diesem Planeten, dass sich das Schicksal auf diese Weise fügen würde.“
In langsamem Tempo rollte der Wagen weiter in Richtung Palast. Rechts und links der Hauptstraße, die schnurstracks vom Westtor zum kaiserlichen Palast führte, waren wie immer Blumen gestreut und Ornamente aus farbigem Reis auf die Straße gemalt. An den Häuserwänden hingen Fahnen, Banner und Wimpelketten. Aus den mit Blumengirlanden behängten Tempeln drangen die Gesänge der Barden, Priester und Gottergebenen.
Einige Elefanten trompeteten, während andere mit ihren bunt bemalten Rüsseln Rosenwasser versprühten. Räucherwerk brannte aus eigens für diesen Zweck vor den Häusern stehenden Säulen und Brāhmaṇas sprachen glückverheißende Gebete, die sie dem Wagen und seinen Insassen wie Blumengirlanden darbrachten.
Je nach Alter, Stand und eigenem Wunsch verbeugten sich die Menschen, als der Wagen an ihnen vorbeifuhr, entweder ganz leicht mit gefalteten Händen, knieten sich auf den Boden und berührten mit ihrem Kopf die Erde oder fielen lang ausgestreckt vor dem jungen Krieger nieder, von dem jeder annahm, dass er der neue Kaiser sein werde. Noch wusste niemand außer vier Menschen auf dem Prunkwagen, dass Devavrata in Zukunft nur noch Bhīṣma genannt und dass er niemals der offizielle Herrscher Hastināpuras werden würde.
„Jaya Devavrata! Möge der Sieg dich auf allen Schlachtfeldern begleiten! Gepriesen sei Viṣṇu! Gepriesen sei Lakṣmī, möge die Glücksgöttin stets unsere Stadt beschützen. Gepriesen sei Indra, der Anführer der Götter und beste unter den Kämpfern! Es lebe der Prinz! Alle Ehre sei dem edlen Königssohn Devavrata! Jaya Gaṅgākumāra! Jaya Rājaputra! Jaya Śrī Rāma! Alle Ehre unserem Kaiser und seinem Sohn!“, waren einige der Segenswünsche, mit denen die Einwohner die Prozession unablässig überschütteten.
Inzwischen war man vor dem Palast angekommen und die fünf Soldaten an der Spitze des Reiterspaliers sowie jene zehn, die den Wagen flankiert hatten, hielten an und teilten sich nach rechts und links. Nachdem der Wagen an ihnen vorbeigefahren war und vor den Stufen, die durch das erste Palasttor führten, hielt, umringte die Eskorte den Wagen und bildete auf diese Weise einen natürlichen Wall vor der Bevölkerung, die in Massen dem Wagen bis zum Palast gefolgt war.
Diviratha, einer der acht Generäle Hastināpuras und Anführer der Wagenlenker, trat heran und fasste die Zügel der Pferde. Gemeinsam mit seinen beiden Söhnen Vainateya und Garuḍa musste er sicherstellen, dass die Pferde bei all dem Lärm und Tumult nicht plötzlich scheuten oder durchgingen. Hin und wieder war dies tatsächlich schon vorgekommen und hatte zu schwerwiegenden Verletzungen bei einigen Umstehenden geführt.
Das Fassen der Zügel war das allgemeine Signal für die Ankunft eines Gastes. Im gleichen Moment verstummte auch die Musik der Musikergruppen, die an den Stadttoren lagerten und die ganze Zeit über die Prozession begleitet hatten. Nun war der Einsatz für die Hofmusikanten gekommen, die inzwischen auf die Balkone von Śantanus Palast getreten waren und mit einer fast ohrenbetäubenden Fanfare die Ankunft des Prinzregenten verkündeten. Wie üblich weinten ein paar Babys, wimmerten ein paar Kleinkinder und erschraken sich einige Besucher, die zum ersten Mal in Hastināpura waren und die hiesigen Gepflogenheiten noch nicht kannten.
Obwohl die Rückkehr des Thronfolgers am Nachmittag des Tages ganz und gar kein seltenes oder aufsehenerregendes Ereignis war, ja fast schon alltäglich genannt werden musste, hatte sich doch die halbe Stadt versammelt, um ihren geliebten Prinzen zu ehren. Natürlich hatte sich darüber hinaus blitzschnell herumgesprochen, dass mit dem Prinzen auch ein bildschönes Mädchen in die Stadt einzog. Hatte der Prinz etwa vor zu heiraten? Wer war die Jungfrau? Aus welchem Reich kam diese Prinzessin? Zweifellos musste sie eine besondere Frau sein, wenn der Sohn Gaṅgās sie erwählt hatte!
Diejenigen, die in den ersten Reihen standen, mussten den hinter ihnen stehenden Menschen Auskunft darüber erteilen, wie das Mädchen genau aussehe, ob sie vielleicht ein Wort gesprochen habe, welchen Schmuck sie trage, aus welchem Stoff und von welcher Farbe ihr Gewand sei, welche Haar- und Hautfarbe sie schmücke, ob etwas besonders auffällig an ihr sei, warum sie, nur von ihrem Sari verhüllt, so öffentlich durch die Stadt fahre, wie alt sie wohl sein könnte und noch viele derlei Fragen.
Und wer war der ältere Mann, der jetzt hinter dem Prinzen und dem Mädchen durch das Tor schritt. War er vielleicht ein Gefangener? Oder der Vater des Mädchens? Konnten sie verwandt sein? Oder war er gar ein Spion, enttarnt vom klugen Gottessohn? Konnte man bei ihm wenigstens feststellen, aus welcher Region oder welchem Königreich er stammte? Und welchem varṇa gehörte er an?
Einige versuchten, bei der Reiterstaffel irgendetwas zu erfahren, obwohl jeder wusste, dass die Krieger sich eher die Zunge abgebissen hätten, als etwas zu verraten. Andere umlagerten die Elefanten und versuchten, von den Treibern Einzelheiten zu erfahren, denn diese hatten naturgemäß immer eine gute, weil erhöhte, Sicht auf die Dinge.
Auch die umstehenden Brāhmaṇas wurden eifrig konsultiert, denn wenn sie so gelehrt und wissend waren, wie sie immer behaupteten, dann müssten sie doch auch dieses Mädchen kennen! Irgendetwas mussten die doch wissen! Jedes Detail war begehrt, jede Kleinigkeit war wichtig! Und wo kam überhaupt dieser betörende Duft her? Er schien vom Wagen auszugehen und war fast atemberaubend. Doch da niemand etwas zu wissen schien, pflanzten sich wilde Gerüchte und Spekulationen ungehindert fort.
Einige meinten, der Königssohn hatte die Prinzessin aus dem ekligen Schlund eines fünfköpfigen Monsters befreit, während andere angaben zu wissen, dass er sie aus dem benachbarten Königreich gestohlen hatte. Sie schworen, dass sie das Mädchen dort schon einmal bei einer Festlichkeit gesehen hätten. Wieder andere waren sich absolut sicher, dass sie eine Göttin sein müsse, denn Gaṅgās Sohn würde keine gewöhnliche Sterbliche heiraten. Die Göttin-Theorie erklärte natürlich auch das ungewöhnliche Aroma, das inzwischen die Nasen aller Umstehenden erobert hatte.
Während die Reiterstaffel sich wieder gemächlich zurück zum Westtor trollte, die Bevölkerung heftig und laut darüber miteinander stritt, woher die unbekannte junge Schönheit wohl komme, wie sie hieße und wer sie sei, die Fanfaren verklungen waren und einige Soldaten der kaiserlichen Leibgarde das Trio durch die ersten sechs Torbögen eskortierten, kam die Gruppe dieser drei so unterschiedlichen Menschen am siebten und letzten Tor des Palastes an.
Hier wachten die besten Bogenschützen des Landes, ausgesuchte junge Krieger, die von den berühmtesten Lehrern der Welt ausgebildet wurden. Sie nannten sich Sāmarājas, was soviel bedeutete, dass sie sich für ewig dem Dienst an ihrem König verschworen hatten. Im Volksmund hießen sie nur Dogis, eine Abkürzung für „Dhanuryogis“, eine Bezeichnung, die ausdrückte, dass sie unerreicht im Umgang mit dem Streitbogen waren.
Vor vielen Jahrhunderten war diese Eliteeinheit von Nipposāmu Raya, einem engen Freund und Kampfgefährten des damaligen Kaisers Indradyumnanātha ins Leben gerufen worden. Keiner der Sāmarājas hätte auch nur einen winzigen Augenblick gezögert, sein Leben für den König, die königliche Familie oder ein Mitglied der Garde zu opfern. Wer das letzte Tor passieren und in die Gemächer des Kaisers eindringen wollte, musste an ihnen vorbei.
Niemals bestand diese sagenumwobene Spezialeinheit aus mehr als zwanzig Kriegern und jedes einzelne Mitglied genoss höchsten Respekt und ungeteilte Anerkennung in und außerhalb des Königreiches. Immer fünf von ihnen hielten Wache, während die anderen fünfzehn trainierten oder sich erholten. Täglich mussten sie sich strengen Übungen der Kampfkunst und der Meditation unterziehen. Nicht selten endeten die Kämpfe, die sie sich untereinander zu Trainingszwecken lieferten, mit schweren Verletzungen, hin und wieder sogar mit dem Tod eines Kämpfers.
Die Ausbildung begann zwischen dem siebten und dem zehnten Lebensjahr und die körperlichen Voraussetzungen waren so hoch, dass niemand in dieser Garde älter als 40 Jahre alt war. Oft ließ Śantanu die Sāmarājas antreten, wenn es darum ging, Könige oder andere hohe Gäste zu beeindrucken. Sie führten dann verschiedene Kunststücke zu Fuß, zu Pferde, mit den Händen, mit dem Schwert oder – und dies war ihre besondere Spezialität – mit dem Bogen vor. Legendär war ihr „Schuss in die Sonne“, der allerdings nur zu äußerst seltenen Gelegenheiten vorgeführt wurde. (Die ganze Stadt freute sich schon auf die nächste Vorführung, die anlässlich von Devavratas offizieller Ernennung zum Prinzregenten angekündigt war.)
Traditionell waren diese schmerzunempfindlichen, sehnigen Krieger am ganzen Körper rasiert und trugen aufwendig gegerbte, lederne Panzer, die sich vom Oberkörper bis fast zu den Knien erstreckten. Auch die Sandalen, die Wadenschnüre, die Köcher, Peitschen und Befestigungsstricke waren aus dem gleichen braunen Leder gefertigt, so dass aus dieser farblichen Einheit eine Art Uniform entstanden war. Nur das kunstvoll bestickte und in der Regel bunte Stirnband und Farbe, Form und Bemalung des Streitbogens ließen etwas Raum für eigenen Geschmack und Kreativität.
Keiner von ihnen war verheiratet oder lebte bei seiner Familie. Sie alle bewohnten einige Häuser auf einem abgegrenzten Areal östlich des kaiserlichen Palastes. Nicht einmal ein Dutzend Menschen war der Zutritt zu diesem Gelände gestattet und selbst diesem erlauchten Personenkreis nur zu bestimmten Zeiten des Tages.
Wie im gesamten Königreich auch, war es jedem Sāmarāja freigestellt, welche Gottheit er verehrte. Bei weitem die meisten verehrten Śrī Rāmacandra, das Ideal eines unbezwingbaren Kṣatriyas, den Inbegriff von Aufopferung und Pflichterfüllung. Aber es fanden sich auch Bhaktas von Indra, Paraśurāma, Hanumān und, in letzter Zeit immer häufiger, von Gaṅgā.
Das Emblem der Ehrengarde, eine Art stilisierter Halbkreis, der sowohl einen Halbmond, einen Streitbogen mit Pfeilen wie auch das kaiserliche Zepter erkennen ließ, prangte auf zwölf Stellen ihres Körpers bunt und für jedermann sichtbar. Dieses Erkennungszeichen wurde den Novizen täglich auf den Körper gemalt. Nur jene, die die Kriegerweihen empfangen hatten, was frühestens mit Abschluss des sechzehnten Lebensjahres möglich war, durften sich das Ehrenzeichen dauerhaft und unwiderruflich auf die Haut einbrennen lassen.
Dieses Aufbringen des Symbols der Sāmarājas war genauso feierlich wie schmerzhaft. Jedes Jahr wurde diese Zeremonie öffentlich auf dem großen Marktplatz, immer am zehnten Tag nach dem „Tag der Gilden“, durchgeführt. Bei dieser Gelegenheit wurden außerdem sowohl die Novizen wie auch die neu aufgenommenen Krieger dem Volk mit Namen und Herkunft, aber auch mit ihren besonderen Stärken und Fähigkeiten vorgestellt. Allerdings kam es in manchen Jahren vor, dass niemand vereidigt wurde, da keiner die entsprechenden Qualifikationen erworben hatte.
Am gleichen Tag der rituellen Aufnahme neuer Dogis wurden auch jene mit großem Pomp und mannigfachen Ehren bedacht, die aus der Truppe verabschiedet wurden. Besonders die unverheirateten Frauen der Stadt ersehnten diesen Tag mit gieriger Unruhe herbei, bot sich ihnen doch die seltene Chance, einen hoch angesehenen, gelehrten, duldsamen, durchtrainierten und mit einer üppigen Rente ausgestatteten Junggesellen besten Charakters zu entdecken. Im Allgemeinen dauerte es kaum eine volle Jahreszeit, bis die ehemals aktiven Sāmarājas in den Stand der Ehe traten.
Wenn diese gleichsam gefürchteten wie bewunderten Krieger jemandem ihren besonderen Respekt ausdrücken wollten, zupften sie an ihren Bögen und erzeugten einen einschüchternden und unvergesslichen Klang. Eben diese Töne durchdrangen jetzt den Palast und das gesamte weitläufige Palastgelände, denn die Sāmarājas ehrten ihren ungekrönten Anführer, ihr Vorbild, ihr Idol, ihren Gott – Devavrata, den Lieblingsschüler Indras und Bṛhaspatis.
Dieser Sohn der heiligen Gaṅgā beherrschte die Kunst des Bogenschießens in einer Perfektion, wie sie sogar die Sāmarājas noch nie angetroffen hatten. Der Göttersohn beherrschte Kunststücke, von denen manche so spektakulär waren, dass die Elitekämpfer nicht einmal in ihren Träumen auf solch ein Meisterstück gekommen wären. Aber wenn man natürlich solch große Seelen wie Vasiṣṭha, Śukra, Indra und Paraśurāma seine Lehrer nennen durfte, war es kein Wunder, Techniken zu beherrschen, die den Verstand eines gewöhnlichen Sterblichen bei weitem überstiegen.
Śantanus Sohn war ihre verehrungswürdige Gottheit und ihre Bewunderung ging so tief, dass sie im Falle, dass sie sich zwischen Vater und Sohn hätten entscheiden müssen, sich nicht sicher waren, für welche Seite sie lieber gestorben wären. Śantanus Erstgeborener war ohne jeden Vorbehalt einer von ihnen – auch wenn sie wussten, dass er nie ihren Reihen beitreten würde.
Die drei vor dem Tor zur großen Versammlungshalle postierten Sāmarājas bezeugten sofort ihre Loyalität, als sie den Königssohn sahen. Während sie niederknieten, ruhte noch immer ihre rechte Hand auf ihren Bögen und sie fuhren fort, mit der linken Hand an den fast steinharten Sehnen zu zupfen. Bhīṣma wusste, dass in diesem Augenblick auch die restlichen jungen Krieger in einem Haus, auf einem Feld, auf einem Baum oder wo immer sie sich auch gerade befanden, knieten und auf die gleiche Art und Weise ihre Ehrerbietung darbrachten.
Bhīṣma grüßte noch ehrerbietig den alten Sannyāsī, der ebenfalls vor dem Tor wartete, gab Satyavatī und ihrem Vater ein Zeichen, dass sie stehen bleiben und hier warten mögen, und atmete tief durch. Es hieß jetzt, seine Kräfte zu sammeln, denn er war im Begriff, seinem Vater angenehme, wie auch unangenehme, in jedem Falle aber weitreichende Neuigkeiten zu überbringen. Jayarāma und Vijayarāma, die beiden betagten Wächter, die seit mehr als zwei Jahrhunderten den Dienst an der Pforte verrichteten, starrten fragend auf den Prinzen.
Bhīṣma ließ seinen Blick in die Runde schweifen. Bis auf Satyavatī, die ihren Blick auf den dunkelblauen Marmorboden vor ihr gerichtet hielt, schauten alle Anwesenden erwartungsvoll auf den Sohn des Königs. In den Augen des Sannyāsīs las Bhīṣma Aufmunterung und wissende Güte, in den Augen der Krieger bedingungslose Gefolgschaft und leidenschaftlichen Kampfesmut und in den Augen des Fischers ein gewisses Unwohlsein und leicht verkrampfte Vorfreude. In den Augen der drei eilig herbeigerufenen Zofen, die Schwestern waren und auf die Namen Jānakī, Jānakīvallabha und Jānakīseva hörten und in einer Entfernung von etwa fünfzehn Schritten warteten, erkannte Bhīṣma kichernde Neugier und aufgeregte Hilfsbereitschaft.
Hätte ein anderer, ähnlich wie der Prinz umfangreich in Astrologie, Physiognomie, Handlesekunst, Psychologie und Menschenkenntnis bewanderter Mensch, in die Augen Bhīṣmas geschaut, hätte er kindliche Vorfreude, kriegerischen Stolz und frische, ungeteilte, neidlose Vaterliebe entdeckt. Doch bei allen guten Intentionen des – inzwischen ehemaligen – Thronfolgers, konnte dieser nicht sicher sein, dass sein Plan gelingen und sein Vater das große Opfer annehmen würde.
So wie eine Schlange, die sich in einem lotosblütigen, bunten Bouquet aalt, auch den schönsten Strauß als Geschenk unbrauchbar macht, so wollte ein Zweifel in Bhīṣmas Geist nicht verstummen: „Was nur soll ich tun, wenn Śantanu seinerseits Gefallen an familiären Großzügigkeiten findet und gleich mir den Geschmack der Selbstlosigkeit kosten will? Was, wenn Vater mich dazu drängt, meinem Eid abzuschwören und seinerseits erklärt, dass er auf die köstliche Nähe Satyavatīs ein für allemal verzichtet? Dann werde ich nicht umhin können, ihm auch noch den Rest von Vasiṣṭhas Fluch zu offenbaren! Dann soll und dann muss er es erfahren! Sicherlich wird dies ihn milde stimmen. Ja, so kann es klappen, so wird sich alles zum Guten wenden. Schon bald werden wir eine prächtige Hochzeit feiern. Bald wird Hastināpura in neuem Glanz erstrahlen!“