Śantanu wartete und schaute in das lächelnde Gesicht des Fischers, dessen Gelassenheit ihn zunehmend verunsicherte. Lächelte er jetzt, weil er sich freute und geschmeichelt fühlte? Oder war dieses Lächeln eher verschmitzt? Verfolgte dieser Fischquäler tatsächlich irgendeinen schelmischen Plan?
Śantanu wartete noch immer auf eine Antwort. Ihm wurde plötzlich auch wieder bewusst, dass er nicht allein im Raum war. Sunil und Satyavatī standen still und regungslos rechts und links vom Eingang der Hütte und verfolgten das Geschehen mit unaufdringlicher Schärfe.
„Eure Majestät“, begann endlich der Hausherr und verneigte sich erneut, „ich danke euch für eure Offerte. Ich habe mir bereits gedacht, dass dies der Grund für euren Besuch ist. Warum sonst sollte der König aller Ländereien eine unbedeutende Fischerhütte besuchen. Euer Antrag ehrt mich und meine Tochter. Doch wisset, dass schon viele Männer vor euch mein Heim aufsuchten und mich um meinen Segen baten. Ein jeder musste jedoch unverrichteter Dinge wieder abziehen.“
Langsam erschöpfte sich Śantanus Geduld. Die Worte des Fischers schienen höflich, doch konnte man in ihnen auch eine versteckte Herabsetzung entdecken. Soso, Śantanu war also nur einer unter vielen. Nur einer von denen, die sich dann mal wieder geschlagen geben müssen. Und was sollte diese Anspielung, dass er, als König, wohl sonst nie diese Hütte aufgesucht hätte?
Gereizter, als er selbst es wollte, fragte Śantanu: „Und warum wolltest du deiner Pflicht als Vater bisher nicht nachkommen? Was hat dich abgehalten, deine Tochter in einem heiratsfähigen Alter dem Schutz eines ehrenwerten Mannes anzuvertrauen?“ Auch Śantanu beherrschte die Kunst, in eine scheinbar unschuldige Frage eine versteckte Kritik einzuflechten.
Matsyarāja lächelte. Seine Gelassenheit schien durch nichts zu erschüttern. „O Rājeśa, ich verstehe euren Unmut. Ich will darüber hinwegsehen, dass ihr in das schöne Gewand eurer Rede einen Dolch gewickelt habt. Ich weiß, wie ihr euch fühlt und ich weiß auch, wie es euch mit Gaṅgā erging. Gern will ich euch antworten, denn ihr habt ein Recht darauf, die ganze Wahrheit zu erfahren.
Mahārāja, seit langer Zeit schon kommen Brāhmaṇas, Kṣatriyas, reiche Händler, selbst Könige und Gandharvas zu mir, um meine Tochter zu ehelichen. Doch sie alle haben meine Bedingung nicht erfüllen können. Sie alle mussten beschämt die Heimreise antreten. Ihr möchtet nun sicherlich wissen, wie meine einzige Bedingung für eine Heirat lautet.“
Śantanu breitete die Arme aus und machte damit klar, dass er die letzte Bemerkung des Fischers für eine völlig überflüssige hielt. Natürlich wollte er diese Bedingung jetzt endlich erfahren. „O Nāreśa, meine Tochter wird gern mit jenem in den heiligen Stand der Ehe treten, der uns garantieren kann, dass der Sohn meiner Tochter der neue Regent sein wird. Dies ist schon alles, was ich erbitte.“
Śantanu starb, zumindest fühlte er sich so. Als ob eine eiserne Keule ihn zum Objekt ihres tödlichen Kusses erwählt hätte, so wütete in seinem Kopf die Göttin der unerträglichen Folter. Hätte dieser Fischer doch um Ländereien gebeten, um den Posten des Oberaufsehers über alle Seen und Fische der Welt, um 100.000 Kühe, um einen eigenen Palast, um Millionen von Goldstücken, um die Unterwerfung eines fremden Königreiches, um was auch immer – der König hätte es ihm gewährt.
Ja sogar die Überlassung des Throns für den Enkel hätte er dem Fischer versprochen – wenn er darum vor einigen Jahren gebeten hätte. Selbst dieses Opfer hätte Śantanu gebracht, er hätte dem Sohn, den er mit Satyavatī zeugen würde, das Erstrecht auf das Zepter eingeräumt. Aber inzwischen war dies unmöglich geworden. Inzwischen war Devavrata zurückgekehrt! Und er war bereits zum Prinzregenten berufen worden! Wenn auch nicht offiziell in einer Zeremonie, vor dem gesamten Hofstaat, den Brāhmaṇas und den anderen wichtigen Mitgliedern der Gesellschaft.
Aber im Grunde war es beschlossene Sache. Devavrata hatte schon zugestimmt, Śantanu war seit dem ersten Tag des Wiedersehens dafür, die anderen Könige hatten sich dafür ausgesprochen, die Gelehrten und Priester waren begeistert, das Volk begehrte den jungen Prinzen als ihren Monarchen zu feiern. Es gab auch nicht die Spur eines Grundes, warum Devavrata nicht der neue Kaiser werden sollte. Davon einmal ganz abgesehen, dass er der älteste Sohn Śantanus war, war er genau genommen bisher noch immer der einzige.
Śantanu malte sich aus, was in Zukunft auf ihn warten würde, wenn er der Forderung des Fischers nachgäbe. „Ich soll meinem geliebten Deva unter die Augen treten und ihn seines rechtmäßigen Erbes berauben, nur weil ich mich wieder verheiraten will? Ich soll ihn abschieben, nur weil ich mich nach einer leidenschaftlichen Umarmung einer Frau sehne? Ich soll den einen Deva enttäuschen, nur weil mich die Pfeile eines anderen Devas getroffen haben?
Nur weil Kāmadeva auf mich zielt, soll ich mich den Verwünschungen meines Volkes aussetzen? Soll ich den gleichen Fehler begehen wie einst Mahārāja Daśaratha, der Rāma in die Verbannung schickte, nur weil der König Sklave seiner Lüsternheit für Kaikeyī war? Ich wäre sogar weit schlimmer als Daśaratha. Rāma konnte nach vierzehn Jahren zurückkehren und die Krone Kosalas wieder aufsetzen. Doch ich würde Devavrata weit länger von der Stellung des Souveräns fernhalten. Vielleicht sogar sein gesamtes Leben, wenn dann die Kinder meines Sohnes Anspruch auf den Thron erheben würden.
Nein, nein, nein. O Śrī Viṣṇu, neeeiiinn! Ich kann das nicht tun! Ich kann das meinem Volk nicht zumuten. Und was soll Gaṅgā sagen? Hat sie mir ihren Sohn zurück gebracht, nur damit ich ihn auf diese Weise demütige? O Schöpfung! O Vorsehung! Warum spielst du auf diese Weise mit mir? Was verlangst du von mir? Womit habe ich diese Unbill verdient? Was immer ich auch tue, Leid wird mich empfangen. Was immer ich auch tue, Enttäuschung für andere werde ich säen. Was immer ich auch tue, ich werde nie mehr solch ein beschwingtes Leben führen können, wie ich es mir vorherbestimmt glaubte.“
Śantanu schaute flehentlich auf Matsyarāja. Irgendeinen Ausweg musste es doch geben. Irgendeinen Rat musste Paramātmā ihm doch geben können, um ihn aus dieser Misere zu befreien. Irgendeine Hintertür müsse sich doch öffnen, irgendein Trick, ein Kniff, ein Wort aus den Schriften müsse sich doch finden lassen. Nichts. So sehr sich Śantanu auch bemühte, er sah keinen Weg aus diesem Dilemma. Der Fischer lächelte zwar nicht mehr, aber er machte keinerlei Anstalten, seiner Bedingung noch etwas hinzuzufügen oder sie abzumildern.
Śantanu schaute auf Satyavatī, die immer noch bescheiden wartend neben dem Eingang stand und ihren Kopf leicht gesenkt hielt. „O wie schön und klug sie ist. O wie weise und keusch! Schau nicht hin, alter Narr“, warnte Śantanu sich, „schau nicht hin. Sonst könntest du noch eine Dummheit begehen und dem gierigen Fischer seine Bedingung erfüllen. Schau lieber auf Sunil, dort findest du Halt, dort findest du die Antwort auf dein jammervolles Schicksal. Dort steht Demut, Hingabe, Pflichterfüllung. Dort steht Loyalität, Großmut, Aufopferung. Dort steht Dharma.
Was würde Sunil mir wohl raten? Da brauche ich nicht lange nachzudenken. Er würde mich an mein Dharma erinnern, an meine Pflichten, meine Aufgabe als Mensch und als König. Und als meine Aufgabe als Vater. Und was würde mir mein Vater raten, und was würde Śastragupta sagen? Und welchen Rat würde mir Gaṅgā geben? Alle hätten sie den gleichen Rat. In der Tat, wenn ich in Ruhe nachdächte, würden mir bestimmt 108 gute Gründe einfallen, warum ich dem Drängen des Fischers nicht nachgeben darf.
Aber wenn ich ehrlich bin, tue ich dem Fischer Unrecht. Nicht sein Drängen ist es, das mich schmerzt. Es ist mein Drängen, das meinen Geist prügelt. Es ist sind meine Triebe, die Erleichterung einfordern. O Nase, bescheide dich, bald kannst du vor dem Altar des Herrn köstliches Räucherwerk genießen. O Augen, schreit nicht weiter nach ihrer bezaubernden Form, geduldet euch, bis ihr die Form des Herrn erblicken dürft. O Ohren, die ihr euch nach ihrer lieblichen Stimme sehnt, wartet auf den nächsten Besuch im Tempel, dort könnt ihr den Gesängen der Gottergebenen lauschen.
O Haut, die du dich nach der grazilen Form des Mädchens verzehrst, es muss dir reichen, wenn ich einen alten Freund oder meinen Sohn umarme. O Genital, deine Ansprüche habe ich vernommen, doch muss ich dir raten, dieses Mädchen zu vergessen, begnüge dich mit dem, was dir der Herr gewährt. O Kopf, der du fast zerspringst, du wirst Ruhe finden, wenn du dich vor dem höchsten Herrn verbeugst. Jetzt seid endlich still! O ihr Sinne, haltet ein. Es ist zwecklos, weiter auf mich einzuprügeln. Ich kann diesen Wunsch meines Untertanen nicht erfüllen. Ich kann es nicht. Ich kann nicht.“
Schon seit geraumer Zeit herrschte völlige Stille in der Hütte. Nach der Bitte des Fischers hatte niemand mehr gesprochen noch sich bewegt. Alle standen wie versteinert. Śantanu räusperte sich, es hatte keinen Zweck, die Entscheidung noch weiter aufzuschieben. „Wohlan, Vater einer Fischerstochter, du hast gesprochen und deine Bedingung genannt. Dein Preis ist in der Tat sehr hoch und es wundert mich nicht, dass es bisher niemanden gab, der ihn zahlen konnte.
Fürwahr, ich bin der Einzige, der dir ein derartiges Versprechen überreichen könnte. Doch die Liebe zu Prinz Devavrata und die Gesetze des Dharmas binden mich. Meinem Sohn gebührt das erste Recht und er soll schon bald als Prinzregent verkündet werden. So muss auch ich dein Ansinnen zurückweisen. Du solltest dich fragen, ob deine Absichten ehrenhaft und angemessen sind. Aber dies ist deine Sache, das musst du selbst mit Viṣṇu ausmachen. Ich danke dir für deine Gastfreundschaft. Ich möchte jetzt den Rückweg antreten.“
„Ganz, wie ihr möchtet“, entgegnete Matsyarāja, „ich werde persönlich dafür sorgen, dass ihr wohlbehalten am anderen Ufer ankommt. Es war mir eine Ehre, euch in meiner bescheidenen Behausung zu empfangen. Möge euch der Herr aller Segnungen auf allen Wegen begleiten, möge Varadarāja immer mit euch zufrieden sein.“
Śantanu nickte nur kurz und verließ schnell die Hütte. Er wollte nur noch weg von diesem Ort, so schnell wie nur irgend möglich. Was für ein Tag. Angefangen hatte er mit Vorfreude auf einen Ausflug, dann folgte Rāmśraddhas Bestürzung, dann Enttäuschung über Devavratas Absage, dann alte Kindheitserinnerungen, dann wieder Vorfreude auf einen seltenen Riech-Genuss, der Anblick eines wunderschönen Sees, das Zusammentreffen mit einer begehrenswerten Frau, und jetzt die Katastrophe, das Ende aller Hoffnungen.
Er wollte nur noch in den Palast zurück und sich in seine Gemächer zurückziehen. In diesem Moment hatte er kein Interesse an Königreich, an Staatsangelegenheiten, Steuern oder Kornkammern. Ihm stand weder der Sinn nach Pflichterfüllung noch nach Tanz und Musik. Er wollte jetzt nichts sehen und nichts hören, er wollte jetzt einfach nur allein sein.
Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, verließen der König und Sunil den Fischer, als sie am anderen Ufer wieder angelangt waren. Śantanu strebte so eilig zurück zu seiner Kutsche, dass Sunil gehörige Mühe hatte, zu folgen. Śantanu saß schon im Wagen und trommelte ungehalten mit den Fingern auf das Holz, als auch Sunil endlich das Gefährt erreicht hatte und die fünf Männer schnurstracks und in ungewohnt hohem Tempo nach Hastināpura zurückkehrten.
Der Kutscher und sein Gehilfe spürten, dass etwas passiert sein musste. Kapildev, der irgendwie mit Sunil verwandt war, schaute immer wieder zu seinem Mentor hinüber, konnte sich aber auch keinen Reim auf die Situation machen. Der Unmut des Kaisers war mit Messern zu schneiden, soviel war klar. Doch schnell verflog die Verwirrung der drei Diener und machte der Vorfreude Platz. Was immer passiert sein mochte, es ging zurück zum Palast. Und dies bedeutete eine köstliche warme Mahlzeit, ein weiches Bett und einen baldigen, erholsamen Schlaf. Und die Vorbereitung auf einen neuen Tag.